Sonntag, 7. Januar 2018

Your adventure starts now...

Ich sitze in Narvik im Guesthouse und warte auf Pizza. Zeit, einen kleinen Reisebericht zu tippen.

Irgendwann im Sommer stieß ich auf einen Blogbeitrag, dass der beste Ort zum Aurora gucken in Norwegen gar nicht in Norwegen liegt. Sondern in Schweden, Abisko. Günstig gelegen an einem großen See, eingerahmt von Bergen soll es dort besonders häufig klare Nächte geben.
Ich war sofort begeistert.

Ein paar Wochen später formte sich ein genauerer Plan. In Abisko direkt hatte ich keine Unterkunft mehr gefunden, aber ein bißchen weiter nördlich in Riksgränsen. Der Ort hält, was er verspricht. Nur ein paar hundert Meter neben dem Ort verläuft die schwedisch-norwegische Grenze. Ich mietete also über AirBnB eine nette Ferienwohnung. Der Plan war zu sechst zu fahren. Family, bester Freund und noch ein anderer Kumpel. Am Ende waren es (wie auch in Island letzten Winter) wir vier und der beste Freund.
Nach einigem hin und her hatten wir uns für eine lange Bahnreise entschieden, da die Flugtickets ziemlich teuer waren. Und eine abenteuerliche Bahnfahrt mit Nachtzug hätte ja auch mal was. Dachten wir.
Ich buchte also Interrail Tickets und die nötigen Sitz- und Schlafplätze dort gleich mit. Großer Fehler. Ein paar Tage später bekamen wir Post. Interrail verschickt auch gleich Infoflyer und Armtüddelgedöns mit. Klang alles gut. Auf den Tickets steht: "Your adventure begins now." Mir war ja leider nicht klar, dass das wörtlich zu nehmen war.

Dann kam der ganze riesige vorweihnachtliche Stress, die lange Krankheit vom besten Freund und erst kurz vor Weihnachten schaute ich mir die Reservierungen für die Züge genauer an. Erster Schockmoment. Wir hatten in keinem Zug ein Abteil bekommen (was bei 5 Personen mit jeder Menge Gepäck ja sehr sinnvoll wäre) und noch viel schlimmer: wir hatten auch keine 3-er Abteile im Nachtzug. Nein, wir waren verstreut. Je ein Mann plus Kinder mit je einem Fremden und ich alleine in einem anderen Waggon in einem Damenabteil.
Ich brach schon mal leicht in Panik aus. Nach einem Vormittag, den der beste Freund am Telefon mit der schwedischen Bahngesellschaft und Interrail verbrachte, wurde klar, dass nichts mehr an den Reservierungen zu ändern sei. Da brach ich ganz in Panik aus. Never ever schlafe ich mit Fremden in einem minikleinen Nachtzugabteil.

Letztendlich lief es darauf hinaus, dass der beste Freund in Stockholm in den Flieger nach Kiruna steigen würde und wir vier hofften, dass jemand so mit uns die Plätze tauscht, dass wir uns zu Viert in ein 3-er Abteil quetschen könnten. Lust wegzufahren hatte ich da schon nicht mehr.

27. Dezember. Wir starten im ICE, schaffen es irgendwie 3 Koffer und eine riesige Skitasche zu verstauen und kommen pünktlich in Hamburg an. Die Reise soll uns heute bis nach Stockholm führen, wo wir im alten Gefängnis (jetzt Hotel) Zimmer gebucht haben. In Hamburg steigen wir in einen EU-Intercity nach Fredericia.
Wir kommen bis Rendsburg. Dort stoppt der Zug mit unbekannter Dauer. Unfall am Bahnübergang. Unsere Umsteigezeiten sind überall knapp, Wir checken spätere Anschlüsse nach Kopenhagen und Stockholm. Machbar.
Dachten wir. Am Ende haben wir über 100 Minuten Verspätung und alle Pläne B - G haben sich in Luft aufgelöst. Die deutsche Schaffnerin hat nicht mal das Fahrgastrechteformular und weigert sich irgendwas schriftlich zu bestätigen. An der Grenze halten wir, der Zoll geht durch. Die Schaffner wechseln. Ein wirklich bemühter dänischer Schaffner hält uns so gut es geht auf dem Laufenden. Am Ende hält der Zug unplanmäßig an irgendeinem Bahnhof mitten in Dänemark und wir steigen alle in einen anderen Zug um, der uns nach Kopenhagen bringt. Vorausschauend gucken wir nach Hotels in Kopenhagen (sehr teuer) und Malmö (ok teuer).

Viel zu spät steigen wir aus, auf dem Gleis gegenüber steht der letzte Zug nach Stockholm für diesen Tag. Ich frage den Zugbegleiter, ob es die Möglichkeit gibt, auch ohne nötige Reservierung mitzufahren. Jein. Ja, er würde uns prinzipiell einsteigen lassen. Nein, mit zwei Kindern fünf Stunden lang im ausgebuchten Zug zu stehen ist wohl eher keine Option. Damit ist klar, dass wir es heute nicht mehr nach Stockholm schaffen.

Hrmpf. Mein Mann bleibt mit Kindern in Gepäck in Warteposition, während bester Freund und ich zum Servicecenter am Kopenhagener Hauptbahnhf gehen um unsere Optionen zu checken. Eine etwas genervte, aber trotzdem nette Frau bucht unsere Reservierung kostenfrei auf den nächsten Tag um und klagt uns ihr leid. Deutsche und schwedische Bahn während immer verspätet, alles läuft in Kopenhagen zusammen und die Serviceleute dort müssten dann die Probleme der anderen Bahngesellschaften lösen. Außerdem erzählt sie uns, dass wir auch mit unserem "eigentlich geplanten" Zug nicht nach Stockholm gekommen wären. Der hatte nämlich auf der Strecke einen technischen Defekt und fuhr deshalb ebenfalls zurück nach Kopenhagen.

Wir stornieren (nicht mehr kostenfrei) das Hotel in Stockholm (und hoffen, dass wir Ersatz von der DB bekommen, mal sehen). Buchen ein Hotel in Bahnhofsnähe in Malmö, holen Essen bei McD und steigen in den nächsten Zug, der uns über die Öresundbrücke (leider im Dunkeln) nach Malmö fährt.

Die Kinder halten bis dahin übrigens ziemlich gut durch. Nur beim Fastfood-Essen streikt der Große und isst lieber noch was von unserem mitgebrachten Proviant. Im Hotel in Malmö toben die Kinder noch eine Weile durch die Betten, während wir ziemlich erschlagen, erschöpft und etwas missmutig sind.

28. Dezember. Nach dem wirklich leckeren Frühstück im Hotel steigen wir in den Zug nach Stockholm. Ich bin elendig müde, nachdem Minimann sich das Bett mit mir geteilt und die ganze Nacht gekratzt hatte. Seit Monaten hatte er keinen Neuroschub mehr, aber jetzt. Leider darf ich auf gar keinen Fall im Zug einschlafen, denn das macht weder mein Kreislauf noch mein reisekrankheits-freudiger Magen mit. Die Kinder spielen, lesen, hören Hörbuch. Draußen zieht die etwas grau-nasse, aber wunderschöne schwedische Landschaft vorbei. Wälder, Seen, ein paar Dörfer auf den typischen rot-weißen Häusern. Es geht nordwärts. Schon fast im Dunkeln erreichen wir am frühen Nachmittag Stockholm. Minimann schläft im Stehen im Zug ein, als wir schon vollgepackt im Gang die letzten Minuten stehen. Ich nehme ihn auf den Arm und versuche beim Einruckeln in den Bahnhof nicht das Gleichgewicht zu verlieren.



Wir haben nun ein paar Stunden Aufenthalt in Stockholm. Leider nicht der ganze Tag, wie eigentlich geplant. Wir gehen nochmal zum Schalter der schwedischen Zuggesellschaft in der Hoffnung, man könnte die Nachtzugreservierungen ändern, wenigsten die für die Rückfahrt. Nichts zu machen, die Züge sind komplett ausgebucht.
Immerhin klappt die Gepäckabgabe im Bahnhof prima und wir können noch einen kleinen Spaziergang Richtung Gamla Stan machen. Es ist schon dunkel, das Wetter trüb und windig. Es regnet ein wenig. Aber der Spaziergang tut allen gut. Wir kehren in das "Lazy Café" ein. Heißgetränke, Zimtschnecken (Kanelbulle) und Köttbullar heben die Stimmung ein wenig. Wir haben eine Weile diskutiert, wer welches Gepäck mitnimmt.
Ich mache mein übliches Gulli-Foto und am Bahnhof trennen wir uns. Der beste Freund reist mit nur einem Koffer per Flugzeug weiter. Wir behalten die Skitasche und den Schlitten zusätzlich zu unseren beiden Koffern. Es ist noch etwas Zeit, aber wir gehen mit Sack und Pack schonmal zum Gleis. Man sollte ja auch eine halbe Stunde früher da sein.

Wir stehen, wir warten. Der Zug wird als verspätet angekündigt. Erst nur um zehn Minuten, dann verschiebt sich alles immer weiter. Das Gleis ist irgendwann voller Leute, wir stehen fast 1,5h, ich bin unendlich froh, dass die Kinder nicht nörgeln, nicht toben. Ich gehe zum Supermarkt und kaufe Abendbrot. Es ist kalt, das Gleis ist so voll. Die Wagenreihung wird zwar angezeigt, aber ohne Bezugspunkt.



















Dann fährt der Zug endlich ein. Natürlich stehen wir am falschen Ende vom Gleis. Mist. Die Kinder nehmen sich an der Hand, ich mit Koffer hinterher, hintendran mein Mann mit Koffer und der sperrigen Skitasche. Wir sprinten die Plattform entlang, ganz bis zum anderen Ende des Zuges. Wir nehmen das erste von den reservierten Abteilen und versuchen in dem winzigen Raum das Gepäck zu verstauen. Mein Mann geht zum anderen Abteil, fragt nach, ob ein Tauschen okay ist. Wir besprechen die Tauschsache danach noch mit dem Schaffner. Der beruhigt uns. In Uppsala soll der, der eigentlich mit in der Abteil gehört zusteigen, da wir ihm einen gleichwertigen Platz anbieten können, wo dann sogar noch ein Bett frei bleibt, sollte das alles kein Problem sein.
Wir verstauen das Gepäck, falten uns Yoga-artig auf der unsere Bett und Essen Abendbrot. Für die Kinder gibt es Joghurt und noch während mein Mann sehr sehr eindringlich erklärt, dass Kleckern heute mal absolut gar keine Option ist, ergießt sich ein Teil des Joghurts beim Aufmachen über seinen Arm.
Etwas später (Tauschen hat geklappt) richten wir die Betten. Ich nehme lieber doch eine Pille, denn das Schaukeln des Zuges ist im Sitzen schon nicht so dolle. Hinlegen wäre da gar keine Option. Draußen beginnt Schnee zu liegen und mit jedem Kilometer nordwärts wird es mehr. Bald schon zuckelt der Nachtzug durch eine tiefverschneite eisige Landschaft.


29. Dezember. Wir schlafen alle schlecht in dieser Nacht. Mein Mann hat seine Erkältung nun erst richtig ausgebrütet, im Abteil ist es kalt. Am nächsten morgen knabbern wir trockene Brötchen. In Kiruna steigt bei -25°C der beste Freund wieder zu. Es geht weiter nordwärts in die Polarnacht, die ein schönes pastelliges Tageslicht über die Schneelandschaft um uns herum zaubert. Wir ziehen uns und die Kinder um, tauschen die Reisesachen gegen dicke Winterkluft.

Kurz nach Mittag kommen wir in Riksgränsen an. Der Bahnhof liegt an einem Hügel, auf der anderen Seite vom Tal sehen wir unser Ferienhaus. Erschöpft und ziemlich angeschlagen beginnen wir die Koffer den Hügel hinab zu ziehen. Minimann kommt direkt in sein Mittagstief, dazu sind es -15°C. Da bleibt für ihn nur eins: heulen. Nachdem wir die Hälfte des zweiten Hügel erklommen haben, fragen wir jemanden, wie man zu den roten Häusern kommt. Er sagt uns einen anderen Weg. Oooohhhh neee. Wir schieben die Koffer wieder den Hügel runter, nehmen eine andere Strasse. Die entpuppt sich einen Steilhang von unserem Ferienhaus entfernt als Sackgasse.
Minimann heult, ich habe einen Puls von 180. Offenbar sollte man auf diese Übelkeitstabletten weder Schlafmangel noch Anstrengung addieren. Ziemlich am Ende unserer Kräfte beschließen wir den Steilhang hochzukraxeln.

Ich gehe mit den Kindern vor, wir finden endlich endlich das richtige Haus (ich hatte mir 4:11 gemerkt, es war 11:4) und... kommen nicht rein. Mein Handy empfängt weder SMS noch Mails. Ich frage einen Nachbarn, der uns auch nicht weiterhelfen kann. Aber er bietet mir an, mit den Kindern in sein Haus zum Aufwärmen zu kommen. Das nehme ich dankbar an und wechsele ein paar Dankesworte mit seiner Frau. Schlussendlich gebe ich Geld für Datenvolumen im Ausland aus und schreibe eine etwas verzweifelte Mail an den Vermieter. Keine Minute später trudeln Mails und SMS mit dem Türcode ein. Ich bedanke mich nochmal bei den Nachbarn und schleife den erschöpften Großen und den völlig fertigen, immer noch weinenden Minimann ins Haus. Schäle die durchgefrorenen Kinder aus den Klamotten und gebe Anweisung die Heizungen überall aufzudrehen. Danach schreibe ich eine sorry-sorry-mein Handy hat gesponnen-SMS an den Vermieter.

Ich bin stehend k.o., gehe aber wieder raus, um zu gucken, ob die Männer den Weg über die Straße zurück genommen haben oder wo sie sonst sind. Finde am Ende der Treppe Gepäck. Offenbar haben sie sich völlig übernommen (oder sind völlig verrückt oder beides) bei dem Versuch das Gepäck den Steilhang im Tiefschnee hoch zu wuchten. Immerhin erfolgreich. Ich trage Rucksäcke nach oben. Zu zweit schleppen wir die Skitasche. Endlich ist alles in der Wohnung, inzwischen ist es draußen dunkel. Wir sind alle unendlich müde und erschöpft.

Also nee, nicht alle. Die Kinder sind schon aufgetaut, erkunden die Räume, spielen. Wir Erwachsenen schlafen einfach auf dem Sofa ein. Viel später am Nachmittag beginnt mein Mann zu kochen. Wir freuen uns alle sehr auf eine richtige warme Mahlzeit. Bester Freund und ich nehmen derweil die Rucksäcke, ziehen zig Lagen Kleidung über und marschieren rüber zum Supermarkt. Im inzwischen heraufgezogenen Schneesturm ist das gar nicht so einfach. Der Schnee peitscht einem ins Gesicht und jeder Atemzug ist schwierig. Ich merke bei jedem Schritt wieder, wie mein Blutdruck steigt. Richtig blöd. Hoffentlich hört diese Wechselwirkung von Tablette und Anstrengung nach einer Nacht Schlaf wieder auf. Wir erreichen den (gar nicht so kleinen) gut sortieren ICA und kaufen ein. Lebensmittel, Süßkram, Getränke. Alles will den Hügel hinab- und wieder hochgeschleppt werden. Aber irgendwann haben wir uns gegen das Schneegetümmel durchgesetzt und sind zurück im Haus. Wir essen lecker (Nudeln mit Tomatensauce und/oder Pesto) und kommen an. Alle sind echt platt, trotzdem dauert es bis spät in den Abend bis wir alle in unseren Betten liegen.

Morgen kann der Urlaub gerne in den gemütlichen Teil übergehen.